Schatten der Vergangenheit verfolgen mich noch heute…
Sonntag, der 13. Januar 1980. Gegen drei Uhr morgens knallen Revolverschüsse in der Ostendstraße, in Frankfurt am Main. Ein Passant findet drei Stunden später den leblosen Körper von Nikola Miličević (42). Die Leiche liegt neben seinem hellblauen Mercedes, auf einem Parkplatz nur wenige Meter vom Haus entfernt, in dem er mit seiner Frau und seinen fünf Kindern wohnt. Er wurde erschossen. Sechs Kugeln des Kalibers 7,65mm hatten seinen Körper getroffen. Nikola Miličević war einer der 37 ermordeten politischen Gegner des damaligen jugoslawischen Regimes, die im Auftrag der berüchtigten UDBA (jugoslawischer Geheimdienst), im Zeitraum von 1967 bis zum Zerfall Jugoslawiens 1989, in Deutschland getötet wurden. Nikola flüchtet 1966 aus seinem Geburtsort Međugorje nach Deutschland. Nach Erteilung des politischen Asyls, gründet er in Frankfurt eine Baufirma. Kurz danach flüchtet auch seine Frau Ljubica mit den Kindern aus dem damaligem Jugoslawien und zieht nach Frankfurt zu ihrem Mann. Man lebt gut und glücklich bis zu dieser Nacht, in der für Ljubica die ganze Welt untergeht. Ohne ihren geliebten Mann muss sie mit den fünf Kindern, im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren, allein weiter leben. Die schrecklichen Schwierigkeiten, in welche sie gerät, sind endlos. Aus Angst vor der UDBA weigern sich ihre kroatischen Freunde, und die kroatische Gemeinde in Frankfurt, den Kontakt und die Freundschaft mit ihr und ihren Kindern aufrecht zu erhalten.
Man drohte mit der Ermordung meiner Kinder
„Das war die schlechteste und schwierigste Zeit in meinem Leben. Auch nach der Ermordung meines Mannes riefen die Agenten der UDBA an, und drohten mir und meinen Kindern. Ich hatte Angst um unsere Leben. In diesen schwierigsten Zeiten halfen mir am meisten die Deutschen aus der katholischer Gemeinde, die ich als bekennende Katholikin mit den Kindern zu dieser Zeit besuchte. Vorher gingen wir regelmäßig in eine Kirche, die vorwiegend von Kroaten besucht wurde. Nachdem wir aber spürten, dass sich das Benehmen unserer kroatischen Freunde und Bekannte sich veränderte, und dass sie uns mieden und ich spürte, dass sie mich nur noch vorsichtig grüßten und regelrecht Angst vor uns hatten, wendete ich mich vollkommen an die Deutschen“, erzählt uns Ljubica Miličević in einem Gespräch, für das sie sich bereit erklärte, ihr 33 Jahre währendes Schweigen gegenüber den Medien zu brechen. Von ihrer ältesten Tochter Mladenka begleitet, besuchte Ljubica an diesem Tag das Grab ihres Mannes, und sprach mit dem deutschen Fernsehsender ARD, der für die Sendung Europamagazin einen Beitrag unter dem Titel “Kroatien: Schatten der Vergangenheit” drehte. In dieser Sendung wurde dieses Thema angesprochen: die Ermordungen kroatischer, politischer Einwanderer (seitens der UDBA), wofür noch niemand verantwortlich gemacht wurde, als auch inwieweit dies den baldigen EU-Beitritt Kroatiens beeinflussen würde.
Mein Mann war kein Terrorist
„Meine Kinder Mladenka (12), Frane (11), Željko (10), Karmela (8) und Anton (5) konnten jahrelang nicht verstehen, warum ihr Vater nicht mehr da ist. Ich selbst konnte auch niemals verstehen, warum mein Mann von den UDBAAgenten ermordet worden ist. Wie die meisten Kroaten war er ein politischer Gegner Jugoslawiens. Er nahm an den Demonstrationen gegen Jugoslawien und das kommunistische Regime aktiv teil, die damals von verschiedenen, kroatischen Organisationen deutschland- und weltweit organisiert wurden. Mein Mann und seine Freunde, wie zum Beispiel Bruno Bušić, der ab und zu bei uns auf der Durchreise nach Paris übernachtete, sowie Gojko Bošnjak, Tomislav Naletilić, Branko Šetka und andere waren keine Terroristen, sondern nur politische Gegner des jugoslawischen Regimes. Vor allem haben sie demonstriert und Flugblätter gegen Jugoslawien verteilt, Texte in ausländischen Medien veröffentlicht, kroatische Flaggen an ihren Autos angebracht, und ähnliches. Ist das das Verbrechen wofür mein Mann ermordet wurde?“, fragt Ljubica Miličević. Dabei erinnert sie sich an ein dramatisches Ereignis am Flughafen Zagreb im Jahr 1978.
Ein Angebot zum Austausch von RAF-Terroristen gegen acht Kroaten
„Damals verhaftete die UDBA vier Terroristen der RAF (Rote Armee Fraktion – eine der damals einflussreichsten, linken, militanten Organisationen Deutschlands, Anmerkung des Autors). Ihnen wurde, unter anderem, die Entführung des Arbeitgeb e r v e r e i n s p r ä s i d e n t e n Hans-Martin Schleyer zur Last gelegt. Belgrad bot einen Austausch an. Für die RAF-Mitglieder verlangte man die Auslieferung von acht kroatischen, politischen Einwanderern, zu denen auch mein Mann zählte. Der damalige deutsche Innenminister Werner Maihofer (FDP) lehnte dieses Angebot ab. Ich war ihm zu tiefst dankbar. Da damals die Exekutionen von den kroatischen Einwanderern in vollem Gange waren, war uns klar, dass eine Jagd nach diesen acht Kroaten kurz bevorstehe“, erzählt Ljubica Milicevic. „Über das Leben ohne meinen Mann, den täglichen Kampf ums Überleben, die Erziehung meiner fünf Kinder, die Unterstützung vom deutschen Staat und durch die Sozialämtern könnte ich, wie sie sagt, ein umfangreiches Buch schreiben.“ Mit Traurigkeit im Herzen, und mit bitterem Nachgeschmack, erinnert sie sich an all das, was ihr Jugoslawien und die Agenten der UDBA angetan haben. Es macht sie traurig, dass in Kroatien die gleichen Leute auch weiterhin im kroatischen Staatsdienst sind und dass sie noch heute durch Kroatien vor einer Auslieferung nach Deutschland geschützt werden. In Zusammenarbeit mit Ljubica Miličević hat die deutsche Staatsanwaltschaft vor zweieinhalb Jahren Anklage erhoben. Sie klagt den kroatischen Staat, als Nachfolger des zerfallenen Jugoslawiens, an und verlangt die Mörder ihres Mannes, als auch die Auftraggeber, dem Gericht vorzuführen.
Name des Mörders und der Auftraggeber sind bekannt
„Name des Mörders und der Auftraggeber sind bekannt. Wenn Kroatien dies untersuchen und prozessieren wollte, wäre es schon längst passiert. Es ist traurig, dass der Staat, für den mein Mann politisch gekämpft hat, seine Mörder schützt“, sagt Frau Miličević entschlossen. Die Frage ob ihr Mann heute mit dem kroatischen Staat zufrieden wäre, wenn er noch leben würde, beantwortet sie ohne zu Zögern: „Bestimmt wäre er glücklich und stolz darauf, dass ein kroatischer Staat gegründet ist. Er wäre aber unzufrieden mit der Art und Weise wie man diesen Staat regiert, als auch mit der Tatsache, dass die alten UDBA-ähnlichen Strukturen noch immer in Kroatien mächtig sind.“
Ivan Mandić / Marijana Dokoza