Eigentlich könnte man sagen, dass es Ivo an diesem Tag schwarz vor Augen wurde: Er wurde entlassen – Aussichten auf einen neuen Arbeitsplatz hatte er nicht. Die Schulden fraßen ihn auf, und wenn er nicht augenblicklich die Miete bezahle, dann würde er recht bald aus seiner Wohnung fliegen. Nach Hause in Kroatien zurückkehren? Dort gab es weit und breit keine Arbeit für ihn. Und wohin sollten auch gehen – eine Bleibe hatte er dort doch nicht! Zwar hat er mit dem Bau eines Häuschens begonnen, aber das war noch lange nicht fertig. Und so gab es noch tausend Gründe, die ihm nachlegten, aus dieser Welt für immer zu verschwinden.
Wer glaubt, dass unser Ivo nur schuftete wie ein Galeerensklave, der irrt sich! Ivo liebte das Leben – mit all seinen Vergnügungen und Schönheiten. Das Gastarbeiterleben hier in der Fremde behagte ihm weniger – Arbeit von früh bis spät, um ein paar Euro dazuzuverdienen. Und als er sich endlich an die Plackerei gewöhnt hatte und sogar ans Sparen dachte, da wurde er vor die Tür gesetzt! Nicht nur Ivo, auch mancher von uns hätte in einer solchen Lage einen verständlichen Kurzschluss gehabt und einen früher undenkbaren Gedanken gedacht: Selbstmord! Die Idee eines Verzweifelten, ein für allemal mit allen Problemen Schluss zu machen! (Als ob ein solcher Zug wirklich alle Probleme aus der Welt schaffte!).
Ivo betrat eine große Brücke und wollte sich gerade in den dunklen Rhein stürzen, als unter den Brückenbögen ein Schiff auftauchte, das mit Touristen vollgestopft war. Ivo – du wirst doch jetzt nicht springen und etwa noch ein paar harmlose Ausflügler in die Fluten reissen! Bevor das lange Schiff vorbei war, kam schon die Polizei und führte ihn von der Brücke herunter; wobei man ihm die Selbstmordgedanken sanft auszureden versuchte. Am Ufer stand eine Menschenmenge, Kameras klickten, Mikrophone Strecken sich Ivo entgegen, und jemand überreichte Ivo mit feierlichen Worten eine nagelneue Armbanduhr. Was er nicht wusste – er war der 10.000 Selbstmordkandidat, den man rechtzeitig von der Rheinbrücke geholt hatte.
Irgendwie überstand Ivo das alles und verzog in Richtung Stadtzentrum, wo die grossen Kaufhäuser stehen. Seinen ursprünglichen Entschluss hatte er nicht geädert, überhaupt nicht – er wollte sich umbringen. Basta! Und was soll das Hundeleine im fremden Land Deutschland? Aus dem achten Stockwerk eines Parkhauses wollte er sich stürzen, dann würde alles vorbei sein. Aber kaum hatte er die Eingangstür des Kaufhauses passiert, da spielte eine Kapelle einen lauten Tusch und Ivo ein riesiges Blumenstrauss in den Arm gedrückt. Er war der zehmillionste Käufer, und dafür schenkte man ihm ein japanisches Auto…
„Ein Selbstmord ist auch nicht mehr das, was er einmal war“, dachte Ivo melancholisch, – „ich muss mir etwas anderes ausdenken, das wirksam und sicher ist!“. Er betrat eine Apotheke und verlangte vom Apotheker Schlaftabletten.
Der schaute ihn zweifelnd an: „Schlaftabletten? Für Sie?“
„Ja. Ist was?“
„Ach, ihr Gastarbeiter schuftet den ganzen Tag und folglich seid ihr sehr müde. Ich meine doch, dass ihr mit dem Einschlafen keine Mühe habt – ins Bett legen und weg seid ihr! Dann wird bis zum Wecker klingeln geschart: Auch Sie sehen mir irgendwie ziemlich müde aus. Momentmal -sagen Sie doch, ob Sie nicht etwa andere Absichten mit den Tabletten haben!?!“
Ivo sagte gar nichts -völlig verwirrt stürmte er aus der Apotheke, denn der Apotheker hatte ihn völlig durchgeschaut. Einfach furchtbar! Er beschloss, sich vor das nächstbeste Auto zu werfen und Schluss – alles würde zu Ende sein! Keine Probleme mehr, kein Gastarbeiter Ivo mehr! Was für ein Leben – und jetzt noch der ganze Umstand, bis sich so ein Gastarbeiter aus dem Kreis der Lebenden empfehlen kann. Gedacht – getan! Die Ampel würde grün, die Autos führten an – und Ivo wartete nur, bis ein besonders großes und schweres an den Fussgängerüberweg käme. Da kam es, Ivo wollte sich fallenlassen – und kam ins Stolpern. Statt unter die Räder zu kommen, landete er auf der Motorhaube und irgendwie – sein Selbsterhaltungstrieb funktionierte wohl doch noch – hielt er sich an den großen Scheibenwischern fest. Der Fahrer sprang gehend aus dem Wagen heraus, sein Gesicht strahlte und gratulierte dem verzweifelten und verwirrten Ivo.
„Bravo! Große Klasse! So ein Stuntman brauche ich noch zum Doubeln!“
Ivo schaute ihn an, Neugierige sammelten sich – keiner hatte eine Ahnung, was da vor sich ging. Ivo war darauf gefasst, dass der Fahrer losbrüllen, die Polizei rufen würde und was man sonst in den ersten Aufregung noch von sich gibt. Nichts von alle dem. Der blieb ruhig, gar erfreut sagte er:
„Ich bin Fernsehregisseur, wir drehen gerade einen Kriminalfilm in Köln, für den wir noch gute und mutige Statisten wie Sie benötigen. Setzen Sie sich doch gleich in den Wagen, dann fahren wir ins Funkhaus und setzen einen Mitarbeitervertrag auf! OK?“
Ach, Ivo, mein Lieber, du scheinst noch weiterleben zu müssen – dachte der, als er im Auto Platz nahm. Wahrscheinlich ist deine Zeit noch nicht gekommen, das Leben geht weiter, manchmal zeigt sich auch im größten Unglück noch ein Hoffnungsschimmer. Gewiss, der heutige Tag hat dich sogar zum Künstler gemacht! Statist wirst du in einem Fernweh-Kriminalflm! Beim WDR! Ist doch ganz herrlich, oder?!
Drasko Antov