Die muttersprachlichen Gemeinden in Stuttgart sind für Menschen mit ausländischen Wurzeln ein wichtige Gemeinschaft, in der sie ihre religiöse Herkunft leben und kulturelle Traditionen pflegen können – zum Beispiel zur Adventszeit.
Für Familie Jurić ist die kroatische Gemeinde Sveti Nikola Tavelić von St. Urban solch ein Ort. Ein Besuch bei der Familie in ihrer Wohnung in Untertürkheim.
Für das gemeinsame Weihnachtsfest von Familie Jurić, das langsam aber sicher immer näher rückt, ist in diesem Jahr eine Zahl von ganz besonderer Bedeutung: die 741. Diese Nummer steht auf dem kleinen Zettel, den die Jurics brauchen, um ihr schon seit langem vorbestelltes Spanferkel beim Bauern in Schmiden abholen zu können. Die Nachfrage ist traditionell riesengroß, entsprechend lang sind die Warteschlangen am Abholtag. „Sie werden kaum eine kroatische Familie finden, die an Weihnachten kein Spanferkel hat“, sagt Ruza Juric, die sich ein Fest ohne diese Tradition kaum vorstellen kann.
Wie ihr Mann Zrinko ist auch sie schon als Kind mit ihren Eltern nach Stuttgart gekommen, als Tochter bosnischer Kroaten, die einst zu den ersten Gastarbeiterfamilien in Deutschland gehörten. Der Vater von Zrinko Juric war viele Jahre lang Eisenbahner, er selbst ist Maschinenbauingenieur und arbeitet als Energietechniker. Seit vielen Jahren schon engagiert sich der gläubige Katholik ehrenamtlich im Pastoralrat der kroatischen Gemeinde Sveti Nikola Tavelić, lange Zeit war er dort zweiter Vorsitzender. Als Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss vertritt er zudem die Interessen aller ausländischen Gemeinden im Stadtdekanat Stuttgart. Mit der Zuwanderung sei die kroatische Gemeinde in den vergangenen Jahren enorm gewachsen, sagt er. Zur Sonntagsmesse kommen weit mehr als 600 Besucher.
Zeit der Erwartung und Vorfreude
Er selbst geht mit seiner Familie, zu der neben Tochter Martina, Sohn Tomislav, Neffe Ivan und Schwiegersohn Dominik derzeit auch Ruza Jurics Mutter Klara zählt, jeden Sonntag in die Liebfrauenkirche in Bad Cannstatt. Dazu besuchen die Jurics immer wieder auch kroatischsprachige Gottesdienste in St. Christophorus in Wangen sowie in St. Josef in Feuerbach. In der Vorweihnachtszeit sei es üblich, erzählt er, in möglichst viele Messen zu gehen. Drei bis vier gemeinsame Kirchenbesuche in der Woche sind für die Jurics selbstverständlicher Teil der Vorbereitung auf Heiligabend und das Weihnachtsfest. Zuvor beten sie gemeinsam den Rosenkranz. „Es ist die Zeit der Erwartung und Vorfreude“, sagt er.
Von großer Bedeutung in der kroatischen Weihnachtstradition ist zudem die Beichte, die während der Adventswochen auf verschiedene Weise abgelegt werden kann. Zum einen wird von den Pfarrern die so genannte Weihnachtsbeichte angeboten, bei der sie ältere und kranke Menschen Zuhause, im Krankenhaus, im Pflegeheim oder anderswo besuchen. Zudem werden alle kroatischen Gemeindemitglieder an einem bestimmten Tag zu einer Gesamtbeichte aufgerufen, in diesem Jahr am 21. Dezember in der Liebfrauenkirche und am 18. Dezember in St. Josef in Feuerbach. „Das gibt es nur an Ostern und an Weihnachten“, sagt Tochter Martina, die zweisprachig aufgewachsen ist, an der Uni Tübingen Pädagogik studiert hat, die Gottesdienste aber lieber in der Muttersprache ihrer Eltern hört. Mehrere hundert Menschen folgen an diesen Tagen dem Aufruf und kommen in die Kirche. Um allen Gläubigen die Beichte abnehmen zu können, braucht es sieben bis acht Pfarrer. „Nur wenn man sich von allem befreit, kann richtig Freude aufkommen“, sagt Zrinko Juric: „Die Beichte gehört unbedingt zur Weihnachtszeit dazu.“
An Heiligabend kommt Fisch auf den Tisch
So wie das Spanferkel, das im Hause Juric üblicherweise am 24. Dezember tagsüber im eigenen Garten auf der Wangener Höhe über mehrere Stunden gegrillt wird. „Das ist Sache der Männer, die sitzen dort den ganzen Nachmittag zusammen“, sagt Ruza Juric und lacht. Sie selbst kocht in dieser Zeit meist die heiß geliebten Sarma, eine Art kroatische Krautwickel, die zu den Nationalgerichten gehören. Gekostet werden darf von beidem allerdings nicht an diesem Tag: An Heiligabend wird nach kroatischer Tradition gefastet. Auch bei den Jurics kommt daher nur Fisch auf den Tisch. Das ist die große Herausforderung für alle, sagt Ruza Juric. Die Vorfreude auf den nächsten Tag sei dafür umso größer.
Üblich ist zudem, den Weihnachtsbaum erst an Heiligabend zu schmücken, was wiederum Aufgabe der Frauen im Haus ist. Außerdem werden nach altem Brauchtum Weizensamen aus Kroatien als Symbol der Fruchtbarkeit in einen Topf mit Erde gesteckt, dazu drei brennende Kerzen, die für die Dreifaltigkeit stehen. Auf diese Weise danken die Jurics für das Brot und alles was sie haben. An solchen uralten Traditionen und Gebräuchen festzuhalten, ist für sie wichtig und ein Stück alte Heimat und Identität. Der 60-jährige Zrinko Juric lebt zwischenzeitlich schon seit 48 Jahren in Stuttgart, die Stadt sei in dieser Zeit mehr als nur ein zweites Zuhause geworden, sagt er. Dennoch spürt er immer noch seine Wurzeln, fühlt er sich seiner alten Heimat verbunden.
Der Pfarrer segnet die Wohnung
Zur Weihnachtszeit ist dieses Gefühl besonders intensiv, die Tage im Advent verbringt die ganze Familie daher meist zusammen in großer Runde. An einem der Tage bekommen die Jurics wie alle anderen Mitglieder in der kroatischen Gemeinde Sveti Nikola Tavelić Besuch vom Pfarrer, der ihre Wohnung segnet und sein Zeichen an der Tür hinterlässt: Christus Mansionem Benedicat – Christus segnedieses Haus. Auch das gehört seit vielen Jahren zur Tradition dazu, wie Zrinko Juric sagt: „Weihnachten ist eine richtig schöne und intensive Zeit, auf die wir uns alle gemeinsam freuen.“
Fenix-magazin/MD/Zrinko Jurić /Markus Heffner/kath-kirche-stuttgart.de